Holländischer Brook 67 - Ferdinand Beneke - Die Edition

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Holländischer Brook 67
(nach der Neu-Nummerierung: Nr. 25)
"18. Mittwoch. Morgens, und Vormittags, wie gestern. (Ein Berliner Jude, Namens Fränkel, quält mich izt viel. Rep. mem.) Vor Tische, verspätet, nur noch zum Alton. Thore hinaus, und herein. Mittag unter uns. Nachm. Besuche a) bey dem Präsidenten Jochmus. b.) Bey H. Burrowes, Schwiegersohn der Dame Herrmann, welche mir ihr Haus vermiethet (u. jetzt bey B. wohnt) Es ist daßelbe Haus, welches ich schon so lange ersehnte, u. welches ich diesen Sommer dem StaatsRathe v Faure zuweisen ließ, um mir die rechtzeitige Vakanz zu sichern. Eigentlich ist es ein kleiner Pallast mit zwey Flügeln, welche einen kleinen Hof, u. Garten halbeinschließen.; die eine Hälfte im Osten bewohnt Burrowes, die andre im Westen bekomme ich ein. Das Haus, vorn am Holländischen Brok liegend (No. 67.) hat hintenhinaus die Aussicht auf den Wall, und das ganze weite ElbThal. Es gewährt uns folgende Vorteile a.) es ist räumlich genug für uns alle, b) dabey nicht theurer, als unser jetziges liebes, aber allzuenges Haus, indem wir nur 900 Mark jährlich geben (auf 3 Jahre) u. gewiß für 300 Mark vermiethen können; mein weiblicher Rath rechnet dazu die HausWäsche, als eine Ersparniß von wenigsten 150 Mark – (dieses Haus wäre sonst gewiß nicht unter 3000. biß 2500 Mark vermiethet! –) c.) eine stille, friedliche, behagliche Gaße d) ein kleines Gärtchen am Rande der Stadt, also unter dem Einfluße der Landluft e.) überhaupt Freylicht, und Luft hintenheraus, und Kühle vorn im Hause f.) überhaupt Spielraum, u. Tummelplatz für die Kinder g) die schönste Aussicht in die weite Ferne, die bey Hambg. möglich ist h.) große Behaglichkeit des nur halbmodernen Innern usw – Ach! wer nur ohne schwere Sorgen in die Zukunft blicken könnte.! – B.’s, eine halbenglische, reiche Familie, scheinen gute, freundliche Leute zu seyn, und viel Lust zu guter Nachbarschaft zu haben. – Dann zu Hause."

(Tagebuch: 18. Dezember 1811)
"24. Dingstag. Beym Erwachen konnte ich mich des andächtigen Aufblicks zu Gott nicht erwehren. Fast 8 Jahre wohnte ich in diesem freundlichen Hause, das keine Mängel hatte, als seine Kleinheit für eine zahlreiche Familie, u. seine Treibhaus Hitze im Sommer. Während dieser 8 Jahre, – welche Massen des Unglücks draußen, – u. welche unverdiente Befriedung von allem diesem drinnen! In diesem Hause ward ich Gatte meiner ewig geliebten Karoline, u. Vater zweyer lieben Kinder. Zwar konnte ich meines Glücks nie mit ganz unbefangnem Herzen froh werden, denn welches deutsche Herz hätte das (ohne todten, kalten Egoismus) vermogt. Auch haben meine ahrungssorgen in dieser Zeit nicht überwunden werden können; – aber wie unendlich viel ist doch übrig geblieben, was mein Gemüth mit dem heißesten Dank gegen den Geber alles Guten erfüllt – Ein früher, zerstörender Morgen schnitt diesen Gedankenfaden bald ab. Gestern schien die Sonne schön; heute wars eben so kalt, bey düstrem windigem Wetter. Ein großer Ever lag hinter unserm Hause. In vier Stunden war er voll, u. das Haus leer, u. öde. Emma verließ es zuerst; sie wurde zu Schlingemanns gebracht. Dann schied Mutter (mit Minna) – sehr gerührt, u. fast traurig. Endlich schlug auch meine Scheidestunde. Noch ein Hausvatergang von oben biß unten. Fast jedes Plätzchen schien mir zuzurufen: bleib doch! – Mir wurde immer wehmütiger. Bey meinen halbkranken Augen, und bey dem rauhen Ostwinde, Trähnen vermeidend, sagte ich der emsig schaffenden Line, u. der hülfreichen Regine rasch, Adieu, – In meinem öden Kämmerlein aber warf ich mich auf meine Knie, u. schikte, wie Paulus sagt, einen unaussprechlichen Seufzer, Gebet, u. Dank vertretend, zu Gott empor. – Dann ging ich ohne mich umzusehen, auf immer hinweg, u. sagte auch den guten getreuen Nachbarn Schäfers, Nissens, u. Sandbergs Adieu, – Verschiedne GeschäftsGänge trieben mich mehrere Stunden in der Stadt umher.In Eckmeyers KafféHause erst las ich meine mitgenommene Zeitung, u. das Alles in Schreck setzende NazionalGarde Dekret. – Es fing gewaltig an zu schneyen bey fortw. Froste, dazu neues Haus, u. neue, drückende Stiefeln Rep. mem – En passant aß ich b. Restaurat. im café chinois – Von da um den Stein, u. Deichthorwall, bey starkem Schneegestöber nach dem neuen Hause, No. 67. Holl. Brok. Der starkbeschneyte Ever wurde schon entladen. Wir fanden uns hier alle wieder zusammen (um 6. brachte Mad. Schl. Emma auch wieder) Da war denn natürlich des Lärmens, Packens, Tragens, Windens, u. Kramens kein Ende. Nun Gott segne unsren Einzug, u. mache dieses Haus zu der nie entweiheten Wohnung der Liebe, u. frommen Himmelssinns; das Uebrige nach seiner Weisheit (der die Liebe als GrundWesen schon inne wohnt.) – Zwar siedelte ich mich mit einem neuen Schreibe Tische an, expedirte auch einige eilige Sachen, – aber ich war dermaaßen zerstreut, richtiger verwirrt durch das neue Lokal, in welchem Koffer, Körbe, u. Kasten mit Akten, u. Büchern gar gräßlich um mir herumstanden, daß ich, wie der Esel zwischen zwey Heubündeln, zwischen zwanzig Anfängen den ersten nicht finden konnte. Morgen, wenn ich (nach drey Nächten) ausgeschlafen, wirds hoffentlich beßer gehen. – So hätte ich denn also das liebe Haus, wornach seit vielen Jahren schon mein Sinn stand (für den gegen sonst so niedrigen Preis von 900 Mark jährlicher Miethe) daß ich dem Staatsrath Faure vorigen Sommer dieses Haus nachwies, u. dann vigilant blieb, – das hat mir den Weg gebahnt, u. zugleich, da Faure nun nach Paris zurückg., auch verursacht, dß wir nun soviel früher einziehen gekonnt. – Gegen zehn aßen wir zus. incl. Ida v. Axen, die uns treulich beygestanden, u. mit Line den ganzen Tag auf den Beinen gewesen. Gegen elf zu Bette. Unbehaglich, und fußkalt allenthalben –"

(Tagebuch: 24. März 1812)
"25. Mittwoch. Aus ungewohnter Ferne, u. mit ungewohnter Tonmaaße weckte uns Nikolai Klockenspiel schon um 6 Uhr. – Die Kafféstunde gewährte uns die erste eigentliche Erholung. – So also ist die Mührener Kolonie, wie uns Minna nennt (der wir izt viel gedenken) nun eine Broker Kolonie, u. sogar eine holländische! Wieviel doch auf den StandPunkt ankömmt! Ganz Hamburg, u. das Panoramà drumherum erscheint meiner Vorstellung izt in ganz andren Gruppen, u. Beziehungen! Das Umziehen schüttelt gleichsam die ganze Phantasie um. Ein vollständiger Januar Tag übrigens; alles mit dickem Schnee bedeckt; NebelMaßen verhüllen die Ferne. – Die Kinder sind ungemein froh über die großen TummelPlätze, welche ihnen jedes Zimmer, u. das ganze Haus darbieten. – Gepakt, gearbeitet; schon vielen Klienten Ueberlauf, recht drückend bey dem Kramen zwischen Akten; unter andern die Witwe Hudtwalker da, – MutterSchmerz mit heißen Trähnen ausschüttend, u. Rath, und Trost in ihrer angstvollen Ungewißheit suchend (Conskripzion) – Auch Schütze, Schlingemann, u. Helwig begrüßten uns. – Vor Tische noch Besuche bey den Nachbarn a.) Madam Herrmann, und Burrowes b.) Nachbar links Maack, ein Viktualienhändler, ein durch Krankheit schwer gebeugter Mann; könnte ich Rath, u. Trost durch die Wand bringen! c.) Familie Janssen, ein paar Häuser weiter; alte Bekannte. – Den Rest des Tages sehr verstimmt, u. gebeugt. Fast widert mich das Haus, u. ich muß bangen Ahndungen Manns Kraft, u. GottVertrauen entgegenstemmen, um aufrecht z. bleiben – Aus den Nebeln dieses Morgens hatte sich ein schöner, sonnenreicher, weißglänzender WinterTag entwickelt, u. eine prachtvolle Nacht voll MondsVerklärung, und Stern Glanz folgte – Ach! mein Lebens Tag – zwar auch aus den Nebeln früher Sorgen entwickelt, – scheint sich zu einer Sonnenfinsterniß zu neigen, und zu einer mondlosen Nacht voll Trähnen statt der Sterne – Wahrlich, meiner Sorge schwebt nicht mein Ich vor, sondern das zeitliche, u. ewige Wohl aller derer, deren Daseyn das Schicksal an das Meinige knüpfte, – daß Gott mich nicht verlaße! –"

(Tagebuch: 25. März 1812)
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