FAZ – Vaterland! Gott! Welch eine Fülle von Empfindungen!


F E R D I N A N D
B E N E K E

(1774 – 1848)
D i e  E d i t i o n
Kohle- und Kreidezeichnung von Minna Christine Rist (1809 - 1849)  Quelle: Staatsarchiv Hamburg

F E R D I N A N D
B E N E K E

( 1 7 7 4 - 1 8 4 8 )
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FAZ – Vaterland! Gott! Welch eine Fülle von Empfindungen!

Ferdinand Beneke - Die Edition
Dienstag 11 Dez 2012
„Einen reellen Gegenstand zur beständigen Mittheilung zu finden, ist wohl schweer. ich behelfe mich mit einem eingebildeten: meinem Tagebuch. An jedem Abend vertraue ich, ehe ich zu Bette gehe, bey der letzten traul. Pfeiffe, diesem geduldigen Empfänger die Leiden, u. Freuden des verlebten Tages. O wie so süs ist dann eine doppelt angenehme Wiederholung des genossenen Guten! Und wie sehr erleichtert sich mein Herz durch Expektorazion, wenn Leiden es drücken.“
Zwanzig Jahre alt ist Ferdinand Beneke, als er diese Zeilen 1794 in seinem „Tagebuch der Geschichte meines Lebens“ notiert. Begonnen hat er mit den Aufzeichnungen im Juni 1792. Fortführen wird er sie bis kurz vor seinem Tod im Jahre 1848, und zwar Tag für Tag. Über einen Zeitraum von sechsundfünfzig Jahren schreibt er mehr als fünftausend Seiten. Hinzu fügt er Beilagen in Form von Briefen, Notizen und Memorabilien. Sie summieren sich auf weitere etwa siebentausend Seiten.
Als Beneke stirbt, hinterlässt er einen Textcorpus aus losen Blättern, der zu den umfangreichsten Zeugnissen der Kultur des deutschen und europäischen Bürgertums zwischen der Französischen Revolution und der Märzrevolution des Jahres 1848 gehört. Sechsundzwanzig große Mappen voller „Oral History“. Ein Fundus von enzyklopädischen Ausmaßen.

Einflussreiches Beziehungsgeflecht
Wer ist der unermüdliche Diarist? Beneke wird am 1. August 1774 in Bremen geboren. Er stammt aus einer gutsituierten Kaufmannsfamilie. Bürgerliche Ideale bestimmen seine Erziehung. Anfangs wird er von einem Hauslehrer unterrichtet, später besucht er das Gymnasium. Er lernt Reiten, Fechten, Tanzen, Musizieren. 1790 nimmt er das Studium der Rechts- und Kameralwissenschaften auf. Es führt ihn über die Universitäten von Rinteln und Halle zur Promotion nach Göttingen.
Das Herz des jungen Mannes schlägt für die Ziele der Französischen Revolution. Kein Wunder, dass Beneke der Referendardienst bei der preußischen Provinzialregierung in Minden da zum Graus wird. Anfangs erwägt er auszuwandern; nach Frankreich oder Amerika. Dann jedoch beschließt er, sein Glück in Hamburg zu suchen. Am 14. Februar 1796 erreicht er das rechte Elbufer: „Ich springe ans Land - Republikan. Boden! Mein Vaterland! Gott! Welch eine Fülle von Empfindungen! (...) Victoria!“
Beneke wird Advokat. Makellose Umgangsformen, einflussreiche Studienfreunde und ein wohlklingender Doktortitel helfen ihm, ein engmaschiges Beziehungsgeflecht zu spinnen. Es trägt ihn in einflussreiche Kreise der Hansestadt. Schon Anfang 1797 wird er Mitglied der „Patriotischen Gesellschaft“. Bald darauf leistet er den Bürgereid. Erste Ehrenämter werden ihm angetragen. Er wird Armen- und Schulpfleger sowie Richter am Niedergericht.

Keine Angst vor dem „Ich“
1806 okkupieren französische Truppen Hamburg. Beneke zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück. Die einstige Bewunderung für Napoleon ist der Verachtung für des „Kaisers“ Verrat an der Republik gewichen. Er verweigert die Kollaboration mit den Besatzern. Erst nach der Befreiung seiner Wahlheimat tritt er wieder öffentlich in Erscheinung. Inzwischen hat er geheiratet und eine Familie gegründet.
1816 wählt man ihn zum Sekretär der Oberalten, eines Kollegiums der Erbgesessenen Bürgerschaft. Jetzt hat er eine der wichtigsten Positionen Hamburgs inne. Er behält sie bis kurz vor seinem Tode am 1. März 1848. Benekes Tagebuchmappen überleben ihren Verfasser. So hatte er es gewünscht. Sie finden den Weg ins Staatsarchiv der Hansestadt. In der Tat sind sie ein museales Konvolut, vordergründig mögen sie als das Werk eines Pedanten erscheinen.
Unendlich sind die peniblen Hervorhebungen und Unterstreichungen, die merkwürdigen Abkürzungen, die gekritzelten Korrekturen, die nachgetragenen Marginalien, die Angaben zur Wetterlage und vor allem die zu den Personen, die der „Netzwerker“ Beneke der Erwähnung für würdig befindet. Schon in den ersten zehn Jahren fallen mehr als fünftausend Namen. Vor allem aber ist Beneke ein Narziss. 17 444 Mal fällt das Wörtchen „ich“ in dieser Zeit. Später wird man ermitteln, dass er unter Einschluss der Pronomina „mir, mich, meine, wir und uns“ jedes vierundzwanzigste Wort verwendet, um sich selbst in Bezug zu nehmen.

Voluminöse Kassette
Und trotzdem: Die Tagebücher sind kein bloßes „Journal intime“ eines egozentrischen Bourgeois. Zuvörderst sind sie authentische Zeugnisse eines nachdenklichen Mannes, der tagtäglich den Aufbruch des aufgeklärten Bürgertums in eine sich abzeichnende Moderne dokumentiert, und zwar ohne den Ausgang dieses großen Experiments zu kennen. Ganz gleich, ob Verfassungswirklichkeit, Revolution, Kirche, soziale Frage, Bildungswesen, Literatur, Theater, Reisekultur, geheime und gesellige Gesellschaften, Kaffeehäuser oder die Zeitschriften der Spätaufklärung - die Tagebücher sind eine Fundgrube für die historische Forschung; eine Schatzkiste aus der Sattelzeit des deutschen Bürgertums.
Experten sind Benekes Tagebücher seit langem bekannt, der Öffentlichkeit hingegen waren sie bislang verschlossen. Das freilich wird sich ändern. Im Auftrag der „Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur“, also von Jan Philipp Reemtsma, arbeitet eine Gruppe von inzwischen sieben Historikern unter der Leitung von Frank Hatje und Ariane Smith seit 2001 an einer vollständigen Edition. Jetzt sind in einer voluminösen Kassette die Jahrgänge 1792 bis 1801 erschienen, und zwar zusammen mit einem überwiegend von Hatje besorgten Begleitband.
Reichlich Zitate für Festtagsreden

In drei weiteren Tranchen sollen die restlichen Jahrgänge folgen. Danach ist eine digitale Ausgabe mit textkritischen Angaben und Suchfunktion geplant. Beneke-Enthusiasten werden Geduld benötigen, bis die zwanzig geplanten Bände 2018 komplett sind. Doch schon jetzt verspricht das Projekt eine editorische Glanzleistung zu werden. Die zeichengetreue Transkription von Benekes Handschrift in einen gesetzten Text ist bislang grandios gelungen.
Ihre elegante Typographie und ihre Faksimiles der Zeichnungen und Skizzen von Beneke sind ein Labsal für den Bücherfreund. Frank Hatjes Begleitband-Essays mit Skizzen zu Benekes Leben sowie den großen Themen seiner Zeit - Bildung, Netzwerke, Revolution und Republik - sind schieres Lesevergnügen. Und das mehr als hundert Seiten umfassende Register, welches nicht zuletzt die Namen und wichtigsten Daten der von Beneke erwähnten Personen enthält, verdient größten Beifall.
Bleibt allerdings die Frage, wie man Beneke lesen soll? Von vorn bis hinten, auf der Suche nach bedeutenden Daten oder einfach nach Gusto? Die Antwort ist simpel: ein jeder, wie es beliebt. Und was Beneke-Zitate für Festtagsreden betrifft: Da findet man immer was. Der Kanzlerin und ihrem Herausforderer sei schon jetzt die Eintragung vom 22. September 1793 empfohlen. Auf den Tag genau zweihundertzwanzig Jahre vor der nächsten Bundestagswahl kann man dort lesen: „In dieser Woche wird sich vieles entscheiden.“ Womöglich wiederholt sich Geschichte eben doch.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung


Beneke-Edition
Lübecker Straße 126
22087 Hamburg
www.ferdinand-beneke.de

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